Citroën in Argentinien: Das Entenrefugium
Die argentinische Republik feiert 2016 zweihundertsten Geburtstag. Seit immerhin 90 Jahren wird im Land zwischen Anden, Feuerland und Rio de la Plata Citroën-Geschichte geschrieben. Alte und moderne Fahrzeuge mit Doppelwinkel gehören heute ganz unübersehbar zum Straßenbild in Argentinien. *
Von Jan Eggermann
Als Marcos Vengerow und seine Söhne 1925 den Verkauf von Citroën und Voisin Automobilen starten, herrscht im Land noch Linksverkehr. Ihr Verkaufsraum für die aus England importierten, rechtsgelenkten Citroën befindet sich in Buenos Aires, Calle Montevideo 1165. Zwischen Argentinien und Großbritannien bestehen intensive wirtschaftliche Kontakte, die den Import von dort produzierten Automobilen (und anderen Waren) stark erleichtert. Die Gesellschaft der argentinischen Hauptstadt ist kulturell damals (wie heute) stark auf Europa ausgerichtet und so kommen die französisch-modischen Citroën 5CV vor allem bei Kino- und Theaterstars gut an, was der Bekanntheit der Marke sehr zuträglich ist.
Ab 1931 verkauft dann ein Unternehmen namens Talleres Metalúrgicos San Martín in kleinen Stückzahlen die Typen Rosalie und 7CV, später auch 11CV, 15 SIX und LKW des Typs R23. Der Import von Citroën-Fahrzeugen kommt bei Kriegsausbruch zum Erliegen, obwohl Argentinien praktisch neutral bleibt. Der Neustart in Argentinien beginnt 1946 – befördert von verkehrspolitischen Entscheidungen der Regierung unter Perron – sehr erfolgreich und mit einem offiziellen Citroën-Händler, Teodoro Gilotaux. Vor allem der Citroën 11 CV alias “11 Ligero” gehört bald zum Bild der argentinischen Hauptstadt, wo zu jener Zeit ansonsten amerikanischer Fahrzeuge dominieren. 1951 fahren zwei Argentinier im “Once” quer durch die beiden Amerikas bis nach New York und zeitweise gibt es eine eigene “Formel 11 CV” auf der Rennstrecke von Buenos Aires.
Für den Einsatz in Argentinien unterschiedlichen Landschaften und Klimazonen ist dann allerdings vor allem der robuste und rurale 2CV wie geschaffen. 1955/56 beginnt der Import von belgischen und französischen 2CV, zwei Jahre später beantragt Citroën von Paris aus eine Lizenz zur Produktion von 2CV in Argentinien, die für Fahrzeuge zwischen 190 und 700 ccm-Hubraum erteilt wird.
Am 25. März 1959 wird die Citroën Argentina Sociedad Anónima gegründet. Sie beginnt am 18. Februar 1960 mit der Montage von 2CV. Anfangs mietet man sich beim Nähmaschinenhersteller Pfaff in Jeppener ein, wo mit aus Europa gelieferten Teilen exakt 100 2CV und 20 AZU montiert werden. Am 31. Mai 1960 stellt dann in Barracas – ein Stadtteil von Buenos Aires – ein vollwertiges Automobilwerk die ersten 2CV her, ab 22. Juli 1960 auch Kastenwagen vom Typ AZU. Während das Werk 1980 (bzw. 1990) aufgegeben wird, ist Jeppener interessanterweise heutzutage ein Standort von PSA Peugeot Citroën.
Die Zahl der produzierten 2CV steigt kontinuierlich von 992 Stück 1960 auf 6.954 im Jahr 1964 und 15.280 1969. Anfangs wird ein Großteil der zur Produktion erforderlichen Teile noch aus Frankreich angeliefert, wobei das Werk in die normalen Liefer- und Versorgungsabläufe der europäischen Werke eingebunden ist, was aufgrund der Entfernung zunehmend zu logistischen Problemen führt. Als Konsequenz steigt der Anteil von im Land hergestellten Teilen bis 1969 auf 95%, zeitweise beliefern 450 argentinische Unternehmen die 2CV-Produktion. Citroën legt dabei Wert auf höchste Qualität und führt eine technische Abteilung ein, die sich auch bei Zulieferern um die Einhaltung von Standards kümmert, wodurch ein bemerkenswertes Qualitätsniveau erreicht wird. In Spitzenzeiten verlassen täglich 100 Fahrzeuge das Werk, 1966 rollen bereits 30.000 2CV auf den Straßen Argentiniens. Daneben exportiert man auch Fahrgestelle und Karrosserieteile nach Uruguay, wo Méhari und Kastenenten montiert werden, außerdem Teile nach Chile.
Abgesehen von den Stoßstangen entsprechen die in Argentinien hergestellten 2CV (AZL und AZU, 425 ccm und 12,5 PS) anfangs weitgehend den europäischen Versionen. Im Mai 1961 entfällt die Wellblechhaube, ab 1963 wird die Motorleistung durch eine Änderung am Vergaser auf 14 PS gesteigert. Im selben Jahr taucht mit dem AZLE eine erste argentinische 2CV-Version auf, die über ein drittes Seitenfenster verfügt (das es bis dahin nur bei belgischen 2CV gibt). Das “E” steht für especial. In kleinen Stückzahlen wird 1963 auch die Pick-Up-Version AZUP hergestellt.
Ein im Hubraum identischer – jedoch auf 18 PS leistungsgesteigerter – Motor kommt ab März 1966 beim AZAM zum Einsatz, zum 23. August des Jahres erscheinen als Basisversionen die AZC (mit Fliehkraftkupplung) und die AZN (mit herkömmlicher Kupplung). Von 1970 bis März 1972 kann man unter der Bezeichnung AZM eine AZAM mit mechanischer Kupplung bestellen, während die Produktion der regulären AZAM Ende 1971 ausläuft. Schon 1967 taucht dann bei allen 2CV ein Accessoire auf, das es nur in Argentinien gibt: Ausstellfenster an den Scheiben der hinteren Türen, eine Konzession an die klimatischen Bedingungen des Landes.
Zum 1. November 1969 gibt es erstmals eine Ente mit 602 ccm-Hubraum, homokinetischen Antriebswellen und 12 Volt-Bordelektrik auf, der 3CV AZAM. Während die Technik praktisch zeitgleich auch in Europa eingeführt wird, kommt es nur in Argentinien zur offiziellen Umbenennung, obwohl auch die europäischen 2CV mit 600ccm-Motor fiskalisch eigentlich 3CV sind … Äußerlich ist der 3CV nun an Dyane-Rückleuchten erkennbar, außerdem entfallen die Selbstmördertüren. 1973 werden auch große Heckklappen wie bei der Dyane eingeführt. Kurzfristig ist 1972 mit dem 3CV AXN ein Basismodell ohne hinteres Seitenfenster erhältlich. Erfolgreicher als das nur aufgrund einer Direktive der Regierung aufgelegte Modell ist der seit 1970 in argentinischer Produktion befindliche Ami 8. Bis 1979 wird er 48.855 Mal hergestellt. Seit 1971 wird auch der Méhari in Barracas gefertigt, vorerst allerdings nur in rot, abgesehen von einer grünen Sonderserie für die Polizei in Tucuman.
1978, dem Jahr der Fußball-WM in Argentinien wird die Montage von AK und Méhari nach Uruguay und die Motorenfertigung nach Jeppener verlegt. Dafür produziert man in Barracas 1979 kurzfristig den Citroën GS. Doch die politische Situation im Land und eine Krise des südamerikanischen Automarktes machen Citroën zu schaffen. Eine Kooperation mit anderen Herstellern – wie das Joint-venture Autolatina zwischen Volkswagen und Ford – kommt nicht zustande und die Sitation verschärft sich derart, dass Citroën Argentina zum 31. Dezember 1979 die Produktion aufgibt und die Geschäftstätigkeit einstellt. Damit endet vorerst die Fertigung von Citroëns in Argentinien. Eine neue Gesellschaft namens Automóviles Citroën S.A. läßt 1980 zwar noch einen Auftrag von 240 AK 400 in Jeppener abarbeiten und Ersatzteile fertigen, Hauptgeschäftsfeld des “neuen” Unternehmens ist aber der Import von Fahrzeugen aus Frankreich (VISA, Dyane, GS/GSA und CX).
In Folge des Falklandkrieges zwischen Argentinien und Großbritannien 1982 endet dann das Engagement von Citroën in Argentinien völlig. Sämtliche Anteile an Automóviles Citroën S.A. kauft Eduardo Sal-Lari – Eigentümer des Zulieferers Daher-Boge. Er möchte mittelfristig ein einfaches Fahrzeug für Südamerika entwickeln und läßt nach dreijähriger Unterbrechung das Entenfließband in Barracas wieder anlaufen. Die nun als “IES 3CV” und “IES Carga” erhältlichen Enten (“IES” steht für Industrias Eduardo Sal Lari) unterscheiden sich praktisch nicht von den bisherigen Citroën, abgesehen natürlich vom fehlenden Doppelwinkel. Damals ist der “IES 3CV” das preiswerteste Auto des argentinischen Marktes. Unter der Bezeichnung “IES Safari” wird auch der Méhari wieder aufgelegt. 1985 erfolgt eine erste größere Änderung an der nun “IES America” genannten Serie: Motorhaube und Scheinwerfer werden geändert, mit Einführung der Version “Super America” 1987 entfällt die klassische Lüfterklappe zugunsten einer größeren Frontscheibe, außerdem wird das Fahrgestell überarbeitet und vereinfacht. Die erste Eigenentwicklung von IES – ein Jeep auf 2CV-Basis namens Gringa – erscheint 1988. Doch da zeichnet sich bereits die nächste wirtschaftliche Krise in Argentinien ab, der das Unternehmen schließlich 1990 – wie viele andere auch – zum Opfer fällt.
Erst nach siebzehn Jahren engagiert sich Citroën dann wieder in Argentinien: 1997 beginnt der Verkauf von importierten Fahrzeugen, 1998 übernimmt PSA Peugeot Citroën das seit 1982 unter Regie von Fiat befindliche einstige Montagewerk in Jeppener. Dort werden vor allem technische Komponenten und Motoren für brasilianische Werke hergestellt, wo der Schwerpunkt der südamerikanischen Produktion des PSA-Konzerns liegt. Ein Teil der Motoren wird allerdings auch nach Europa geliefert.
1999 startet im Peugeot-Werk El Palomar bei Buenos Aires die Produktion des Citroën Berlingo (und Peugeot Partner), 2007 folgt mit dem Citroën C4 Lounge dann eine argentinische Variante des C4 mit Stufenheck. Bei einer Tageskapazität von nach Werksangaben 287 Exemplaren pro Tag liegt der Anteil von im Lande hergestellten Teilen zwischen 60 und 70% womit dieser Citroën das im Land weit verbreitete Label “Industria Argentina” tragen könnte. Ansonsten werden die über 74 Verkaufsstellen vertriebenen Typen C3, C3 Picasso, C3 Aircross, DS3, DS4, C4 Picasso, Grand C4 Picasso, C4 Aircross aus Brasilien bzw. Frankreich importiert.
* Argentinien ist mit rund 43 Millionen Einwohnern und einer Fläche von 2.780.400 Quadratmetern nach Brasilien das zweitgrößte Land Südamerikas. Dabei ist die räumliche Ausdehung des Landes zwischen Anden und Atlantik beachtlich, allein von Norden nach Süden beträgt sie knapp 3.700 Kilometer: Auf argentinischem Staatsgebiet fände die Bundesrepublik Deutschland fast achtmal Platz.
Dieser Artikel ist in gedruckter Form in der Zeitschrift Der Entenschnabel, Ausgabe 205, Herbst 2015 erschienen.
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