Borgward Rückblick ’62: Die Arabella-Manufaktur in Bremen
Automobiljournalist Olaf von Fersen (1912 – 2000) kehrt als Chefredakteur von automobil im Sommer 1962 noch einmal an seine alte Wirkungsstätte – die Lloyd Motoren Werke in Bremen – zurück, wo er zuvor als Leiter der Presseabteilung gearbeitet hatte.
Eigentlich war die gesamte Fahrzeugproduktion bereits mit den Werksferien im Juli 1961 als Folge des spektakulären Konkurses der Borgward-Gruppe beendet worden. Auf dem weitläufigen Gelände der Lloyd-Werke in der Bremer Neustadt war jedoch auf Betreiben des mit Lloyd betrauten Konkursverwalters im Juni 1962 die Produktion der Borgward Arabella wieder angelaufen, wohl um noch vorhandene Teilebestände sinnvoll zu nutzen und überdies auch möglichen Kaufinteressenten eine funktionsfähige Fertigung präsentieren zu können. Denn noch Bestand Hoffnung für einen Verkauf der Arabella-Produktionsanlagen ins Ausland, und auch jede einzelne verkaufte Arabella brachte Bargeld in die Kassen der Lloyd Motoren Werke. Der anläßlich des Besuches entstandene Artikel Die Arabella wird noch gebaut erscheint im September 1962 in automobil und bewegt sich zwischen Respekt vor den letzten Konstrukteuren im Lloyd-Werk und ihrem “ohne Zweifel guten Auto”, und der Darstellung dessen, was die “Arabella mit Vollgas in die Sackgasse steuerte.”
“Räumlich” schrieb von Fersen, “beschränken sich die heutigen Lloyd Motoren Werke auf das ehemalige Ersatzteilwerk. Das Gebäude wurde inzwischen an die Siemens-Werke verkauft, von diesen aber an die Lloyd Motoren Werke verpachtet. Der Vertrag läuft einstweilen bis 1964. Im Erdgeschoß befindet sich das Ersatzteillager, während die Produktion im Obergeschoß konzentriert worden ist. Die als selbständiger Betrieb in dem gleichen Komplex untergebrachte Reparaturabteilung arbeitet im gleichen Stil und Umfang weiter wie zu “Lebzeiten” der Borgward-Gruppe. Halbfabrikate und Material sind noch in anderen Hallen gelagert, in der ehemaligen großen Montagehalle stehen zur Zeit noch zwei Fließbänder für die Fertigmontage, die aber nicht genutzt werden.
Die Arabella wird den räumlichen Möglichkeiten entsprechend in bescheidener Stückzahl von 3-4 Wagen täglich gebaut. Das ist ohne Schwierigkeiten möglich, weil die Karosserie im Schalenbauverfahren aus fertiglackierten Einzelteilen zusammengesetzt wird. Die Bodengruppe wird in einer einfachen Lehre elektrisch geschweißt und dann das Auto im Taktverfahren zusammengebaut. Auch für die Motorenmontage ist so etwas wie ein Band entstanden, wenn es auch nicht mehr ist als eine Bahn um einen großen Tisch. Es sind in erster Linie Leute vom alten Lloyd-Stamm, ehemalige Vorarbeiter und bewährte Kräfte in den besten Jahren, die der Marke die Treue gehalten haben. (…)
Eines läßt sich beim Besuch dieser “Fabrik” sofort erkennen: so sorgfältig und sauber sind in Bremen wohl noch nie Autos gebaut worden. Der Gläubiger-Ausschuß genehmigte bisher den Bau von 500 des Typs Arabella und billigte auch eine beschränkte Anzahl des Typs Alexander TS. (…) Die Kleinfertigung ist im Juni angelaufen. In diesem Monat wurden 21 Wagen ausgeliefert, im Juli waren es 43 und bis ins zweite Augustdrittel 36. Die Nachfrage scheint die Liefermöglichkeiten bei weitem zu übersteigen – jedenfalls betragen die Lieferzeiten gegenwärtig 10 bis 12 Wochen. Wenn es in der Halle nicht so furchtbar eng wäre, würde Produktionsleiter Küßner, der dem Werk ebenfalls die Treue gehalten hat, gern mehr Autos bauen. Einstweilen denkt er bescheiden an eine Steigerung der Tagesproduktion auf 5 Arabellen.
Es gibt sogar noch eine Konstruktionsabteilung
Wenn im ehemaligen Versuch auch heute Siemens Transistoren baut, so gibt es bei Lloyd doch noch eine Konstruktionsabteilung, die sich mit den Problemen der laufenden Fertigung und der Verbesserung der Arabella befaßt. Sie besteht aus drei “Altgedienten”, die in einem lichten Raum ihre Reißbretter aufgestellt haben. Man lebt in dieser Sphäre offensichtlich ein wenig im luftleeren Raum, denn die Verbindung zur Außenwelt ist fast abgebrochen, weil es keine “Zukunft” mehr zu geben scheint. Nicht die persönliche, (…) die der Arabella ist es, die gewissermaßen ihr Kind ist. Im Laufe der letzten Monate ist immer wieder vom Verkauf der gesamten Fertigungsanlage gesprochen worden. (…) Für diese schwache Hoffnung wird hier gearbeitet. Längst hat die Arabella ihre Kinderkrankheiten überwunden, doch man weiß genau, wo wesentliche Verbesserungen nötig wären. Man denkt an ein Flachdach mit einer weniger stark gewölbten Heckscheibe, an eine Vereinfachung der unnötig komplizierten und teuren Bodengruppe und ein wenig auch an die Federung. Manches steht schon auf dem Papier, vieles ist so weit fertig, daß man es normalerweise erproben könnte, doch die drei sind zurückhaltend – vielleicht auch ein bisschen abergläubisch: die Katze soll noch im Sack bleiben … (…)
Verkaufsgerüchte
Für einen wendigen Unternehmer ist es natürlich eine attraktive Sache, eine komplette Automobilfabrik, die für die Produktion eines gut beleumundeten Modells eingerichtet ist, zu einem günstigen Preis zu erwerben. (…) Gegenwärtig ist ein Projekt im Gespräch, das die Verlegung der Arabella-Fertigung in die Nähe von Neapel vorsieht.* (…)
Hätte die Arabella in Deutschland noch eine Chance?
Der Gedanke liegt nahe, die Arabella-Produktion in der Bundesrepublik aufrechtzuerhalten. Von der finanziellen Seite her wäre das sicher zu machen. Wäre ein solches Unternehmen aber realistisch? (…)
Die Arabella ist ohne Zweifel ein gutes Auto, aber ihre Konstruktion ist heute schon vier Jahre alt. Sie ist zudem in manchen Details unglücklich: Das Auto ist kein richtiger Viersitzer, weil es im Fond an Kopfhöhe fehlt, die Federung dem (…) neuzeitlichen Komforterfordernis nicht mehr gerecht, und die Kraftübertragung bedürfte in einigen Details der Verbesserung. Keiner der aufgezählten “Mängel” ist besonders schwer abzustellen – doch für die Neuproduktion müßten sehr erhebliche Kosten investiert werden. Sie wären wahrscheinlich nur herauszuwirtschaften wenn sich eine größere Serie auflegen ließe. Gerade das scheint aber aus der Preisperspektive nicht möglich. In Bremen beging man bei der Vorbereitung der Arabella einen verhängnisvollen Fehler: Die Techniker wollten ein möglichst gutes Auto bauen, die Kaufleute verspannen sich in dem Traum, mit Wolfsburg konkurrieren zu können. als man erkannte, daß die Arabella mit Vollgas in die Sackgasse steuerte, war es zu spät. (…) Wenn heute die Arabella für DM 5000,- angeboten wird, so ist dieser Preis kein realistischer. Schon in der Anfangszeit als man in Bremen noch zu “kalkulieren” glaubte, verloren die Lloyd-Motoren-Werke an jeder Arabella rund ihre 400 Mark. Inzwischen sind die Autos technisch noch verbessert worden und Löhne und Preise alles andere als gefallen. Wer sich heute eine Arabella kauft, hat damit die Genugtuung, einen Wagen zu erwerben, der effektiv bedeutend mehr “wert” ist, als er dafür bezahlt. Allerdings – hier liegt die deutliche Warnung an eventuelle Produktionsplaner – ist der hohe “echte” Preis z.T. durch die unnötig aufwendige Produktion bedingt. Vielleicht hätte sie bei den billigen Arbeitslöhnen in Süditalien noch eine Chance – besonders wenn sich ihrer ein gutes Konstrukteurteam annimmt. In der Bundesrepublik ist die Arabella als Produktionsobjekt tot, daran ist nichts mehr zu ändern.
Der Blick des Reisenden, der aus dem Bremer Hauptbahnhof tritt, fällt als erstes auf das kleine Helgoland-Haus, dessen Dach von einer großen Weltkugel geziert wird. Rund um diese Kugel rotiert eine Schrift. früher verkündete sie “Borgward – weltbewährt – weltbegehrt” – heute wirbt sie für eine Brauerei. Sic transit gloria mundi!” soweit Olaf von Fersen 1962.
Und was geschah nach 1962 ?
Im Laufe des Jahre 1963 konnte die 1.000ste nach dem Zusammenbruch der Borgward-Gruppe produzierte Arabella fertiggestellt werden, endgültig endete die Fahrzeugfertigung in der Arabella-Manufaktur im Herbst 1963 nach 1.491 Exemplaren. Ein Verkauf der gesamten Arabella-Produktion ins Ausland kam mangels konkretem Interesse nicht zustande. Die beiden letzten Arabella-Exemplare gingen an Produktionsleiter Küßner – von dem im Bericht bereits die Rede war – und an den Leiter des Ersatzteilwerkes, Herrn Bädeker. Letzterer war später Geschäftsführer der Lloyd Motoren Werke GmbH, die sich bis Ende der achtziger Jahre am alten Standort dem Ersatzteilgeschäft widmete.
Inzwischen hat sich auch Siemens vom alten Lloyd-Areal zurückgezogen, doch die geschichtsträchtigen Gebäude – allen voran das stattliche Verwaltungsgebäude – werden trotzdem erhalten bleiben. Nach einer Meldung des Weser Kurier vom April 2014 sind die verbliebenen Bauten aus der Borgward-Zeit (darunter auch die einstige Arabella-Produktionshalle) von einem Bremer Investor übernommen worden, der die alten Gebäude instand setzen und auf den neuesten Stand bringen will, um sie dann unter dem Label Lloyd-Center an andere Unternehmen zu vermieten. Dabei ist zumindet in Teilbereichen auch eine Nutzung als Abstellgelegenheit für Oldtimer denkbar. Im Sommer 2014 – immerhin 51 Jahre nach Ende der Fahrzeugproduktion – ist der einstige Markenname bereits an die Richard-Dunkel-Straße zurückgekehrt, eine Hinweistafel weist dort jetzt den Weg zum “neuen” Lloyd Center.
Bei den zwischenzeitlich angelaufenen Aufräumarbeiten fiel übrigens ein zwar gänzlich leerer, aber holzgetäfelter Raum im ehemaligen Lloyd-Verwaltungsgebäude an der Richard-Dunkel-Straße besonders auf: Das ehemalige Büro von Carl Borgward, der sein Kleinwagenwerk einmal die Woche zu besuchen pflegte.
Von Jan Eggermann, 2014
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