Louis Renault und André Citroën und das Jahrhundertrennen
Jahrzehntelang liefern sich André Citroën und Louis Renault ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Marktanteile und persönliches Prestige. Jetzt schildert eine TV-Dokumentation was die beiden Pariser Industriellen zeitlebens trennte und verband.
Die erste bekannte Fotografie von André Citroën und Louis Renault entsteht 1934 auf dem 28. Salon d’Automobile in Paris. Hier scheinen zwei alte Bekannte respektvoll miteinander umgehen. Tatsächlich kennen sich die beiden schon seit fast 50 Jahren. André besucht mit Louis zeitweise das selbe Gymnasium, später auch die Polytechnische Hochschule, eine der technischen Eliteschulen Frankreichs. Für den einige Jahre älteren Louis empfindet André wohl schon früh tiefe Bewunderung, gilt der kleine Renault doch im Lycée als ungemein Technik-interessiert. Mit Vorliebe zieht er sich in das Gartenhaus des Elternhauses zu allerlei Tüfteleien zurück. Mit zehn hat er seinen ersten Fotoapparat konstruiert. Es ist überliefert dass Renault vom neuartigen Laufband der Pariser Weltausstellung, das als “Straße der Zukunft” zeitweise Trocadero und Marsfeld verbindet, schlichtweg begeistert. Erste bewegte Bilder der Weltneuheit fertigt übrigens Thomas Alva Edison an, der heute allgemein als einer der Erfinder der Glühlampe gilt … Die Welt ist von einer nie zuvor dagewesenen Aufbruchstimmung in ein neues und modernes Zeitalter der Technik erfasst. Und Louis Renault und André Citroën werden zu deren industriellen Verkörperung.
André Citroën ist das jüngste von fünf Kindern, sein in den 1870er-Jahren von Amsterdam nach Paris zugewanderter Vater ist erfolgreicher Juwelenhändler. André liebt die phantastischen Bücher des Jules Verne und bewundert den 1889 inmitten von Paris stehenden Eiffelturm, der sich – so der kleine André – “scheinbar im Himmel verliert.” Doch seine unbeschwerte Kindheit endet hart, als sich der Vater nach einem fehlgeschlagenen Diamantengeschäft aus dem Fenster stürzt und sich so das Leben nimmt. André Citroën ist damals gerade 6 Jahre alt. Die Familie zieht jetzt in die Rue La Fayette 62 um. Mutter Amalia ist aufgrund der gegenüber Fremden angespannten Atmosphäre in Paris um ihre Kinder besorgt. Deshalb sorgt sie dafür, dass sie eine durch und durch französische Ausbildung bekommen. Die Xenophobie im Frankreich des ausklingenden 19. Jahrhunderts bleibt übrigens bis heute mit der Affäre um den aus dem Elsass stammenden Alfred Dreyfuss verbunden.
Als André Citroën in den Osterferien 1900 einen Verwandtschaftsbesuch nach Polen unternimmt, entdeckt er dort seine erste erfolgreiche Geschäftsidee: Winkelverzahnte Zahnräder. Später werden sie zum Markenzeichen der Citroënwerke. Zu jener Zeit fährt Louis Renault schon erste Autorennen und hat auch ein erstes Automobil konstruiert, das in den Ateliers seiner Brüder Marcel und Fernand produziert wird. Beide sterben relativ kurz hintereinander (1903 und 1909) worauf der bislang nur angestellte Louis Renault das Unternehmen übernimmt. Als André Citroën 1906 als Generaldirektor beim Pariser Hersteller Automobiles Mors einsteigt, sind die beiden erstmals echte Konkurrenten, denn Mors ist bekannt und auch im Motorsport sehr angesehen.
Citroën und Renault stehen bei Ausbruch des ersten Weltkrieges an der Spitze von Unternehmen, die sich schon bald erfolgreich um die französische Rüstung verdient machen: Renault reformiert mit seinen Lastwagen die Versorgung der Front und geht mit seinen “Marne-Taxis” in die Militärgeschichte ein, später fertigt er auch die ersten 3.500 Panzer der französischen Armee. Citroën hingegen kann die Gunst der Stunde nutzen und vor den Toren von Paris eine gigantische Munitionsfabrik am Quai de Javel errichten. Sie ist von Anfang an für die Herstellung von Automobilen vorgesehen. Als die Waffen schweigen, hat Citroën so die Mittel in der Hand Automobile im großen Stil herzustellen.
Jetzt beginnt das Ringen um Marktanteile zwischen Louis Renault und André Citroën. Kaum hat Citroën mit seinen berühmten Autoraupen die Sahara durchquert, präsentiert Renault in Casablanca seine legendären “Sandbusse”, kaum hängen die ersten Plaques Citroën an Frankreichs Straßen, zieht auch Renault mit ähnlichen Beschilderungen nach. Citroën ist ein Meister der Propaganda, wie die Werbung damals noch gänzlich unbelastet heißt. Er läßt den Charleston-Star Josephine Baker in Paris auftreten, Charles Lindbergh vor seinen Arbeitern am Quai de Javel sprechen. Doch den wohl größten Coup in Sachen Aufmerksamkeit landet André Citroën, als er mit der Stadt Paris die Nutzung des Eiffelturms zu Werbezwecken zu vereinbart. Sehr wahrscheinlich zum größten Mißfallen von Louis Renault, der über zehn Jahre hinweg eine wöchentlich wechselnde und von 250.000 Glühlampen illuminierte Citroën-Werbung ertragen muss.
Mal hat der eine, mal der andere einen hauchdünnen Vorsprung. Louis Renault sagt 1934, dass er sehr froh sei einen Konkurrent wie André Citroën zu haben, zwinge dieser ihn doch zur Arbeit und ständigen Bereitschaft zum Kampf. Doch zu einer endgültigen Entscheidung im Rennen um den französischen Automobilmarkt kommt es nie, jedenfalls nicht unter Führung der beiden Industriellen. Trotzdem bezahlen beiden das Rennen teuer. Citroën bekommt immer größere fianzielle Schwierigkeiten und verliert schließlich seine Werke 1934/35. Louis Renault erlebt zwar die Verstaatlichung 1946 nicht mehr, muß sich aber am Ende des zweiten Weltkrieges den Vorwurf der Kollaboration gefallen lassen. Unter nicht ganz geklärten Umständen verstirbt er im Oktober 1944 in Haft. Als André Citroën am 4. Juli 1935 starb, ließ ihm Louis Renault einen großen Bund weißer Orchideen an den Sarg legen. Wohl ein spätes Zeichen seiner Hochachtung.
Das französische Fernsehen widmete dem “Rennen des Jahrhunderts zwischen Louis Renault und André Citroën” eine 2011 ausgestrahlte Dokumentation, die von Didier Bezace, Fabien Béziat und Hugues Nancy produziert wurde. Für die 93 minütige Produktion fand eine Fülle von originalem und zeitgenössischen Filmmaterial aus den zwanziger und dreißiger Jahren Verwendung, das teilweise nachkolloriert wurde und so einen sehr lebendigen Eindruck vermittelt.
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Von Jan Eggermann, Bilder: France Television, Archiv garage 2cv
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