H 70 – Citroëns legendärer Transporter wird 70 Jahre alt
1947 beginnt die kommerzielle Karriere des etwas schrulligen jedoch unglaublich praktischen Citroën H. Mit Citroën-typischem Frontantrieb und einem innovativen Raumkonzept wird er zum konzeptionellen Maßstab aller modernen Transporter und zum beliebtem Food-Truck heutiger Tage.
Von Jan Eggermann für garage2cv.de, Bilder: Citroën/Eggermann/Garage 2CV 2017
Auf dem Pariser Salon vor 70 Jahren erlebt der Lieferwagen Citroën H seine Premiere. Praktischer, robuster oder vielseitiger geht es in Sachen Kleinlaster weder vorher noch nachher. Eigentlich hat Citroën ihn schon 1946 auf dem ersten Nachkriegssalon vorstellen wollen, doch man fürchtet sich vor zu vielen Bestellungen, die man aus Kapazitätsgründen noch nicht bewältigen kann, vor allem fehlt der Motorisierung der Feinschliff. 1947 bleibt es zunächst bei Ausstellungstücken, denn die Produktion im berühmten Citroën-Stammwerk am Pariser Quai de Javel beginnt erst im Juni 1948 im Parterre der lichtdurchfluteten Haupthalle. Zu Zeiten der Citroën DS wird die H-Fertigung dann verlegt: Es geht es eine Etage weiter nach oben.
Dank des Aufbaus aus Wellblech ist der Citroën H leicht und robust zugleich. Sein Frontantrieb entstammt prinzipiell dem Traction Avant, allerdings gibt es ihn auch mit Dieselmotorisierung. Als HY hat er eine Nutzlast von bis zu 1,5 Tonnen.
Noch kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges gibt es einen Vorläufer des Citroën H, den in sehr niedrigen Stückzahlen produzierten TUB oder Traction Utilitaire série B. Der von André Lefebvres Entwicklungsabteilung entwickelte TUB erweist sich als sehr schwachbrüstig, erst eine ab 1940 produzierte Variante mit stärkerer Maschine ist ausreichend motorisiert. Doch einer größeren Serie steht der Kriegsverlauf und die deutsche Besatzung entgegen, wobei sich der zwangsweise Produktionsstopp wie beim 2CV als Glücksfall erweist. Denn jetzt kann alles in der angespannten Ruhe der Besatzungszeit überarbeitet werden. Neben Lefebvre, von dem die Gesamtkonzeption mit Wellblech und Yoder-Schiebeschanieren stammt, ist besonders der im Juni 1940 nach Westfrankreich geflüchtete Bertoni-Mitarbeiter Pierre Franchiset (1904 – 1995) zu erwähnen. Er erarbeitet nach den Vorgaben des Lastenheftes (selbsttragende Karosserie mit Frontantrieb und Traction-4-Zylinder) ein komplett neues Fahrzeug. Es heißt, dass der Type H praktisch in einem Hotel in Ruffec bei Niort entsteht. Als Franchiset mit den Plänen in das besetzte Paris zurückkehrt, stellt ihm Citroën-Generaldirektor Pierre Jules Boulanger etwas Personal und bescheidene Mittel zur Verfügung, denn er hat schon die Transportaufgaben der Nachkriegszeit im Blick. In den Räumlichkeiten der Citroën-Entwicklungsabteilung in der Rue du Thêatre entsteht ein erster Prototyp. Boulanger läßt es sich in der ihm eigenen Art auch nicht nehmen, “seinen” Technikern ständig über die Schultern zu schauen, denn ähnlich wie bei der 2CV-Entwicklung hat PJB gerne alles “im Griff”. Der Qualität des Ergebnisses tut das keinen Abbruch.
In Paris gehören leicht verlängerte H jahrzehntelang zur Ausstattung der Polizei. Generationen von Ganoven werden in den seit Victor Hugo Panier à salade genannten Polizeiwagen abtransportiert. Hier eine Replika ohne die eigentlich obligatorische Vergitterung.
Als Boulanger den H am 25. Oktober 1947 im abgetrennten Nutzfahrzeugbereich des Pariser Automobilsalons vorstellt, mag mancher über sein eigenwilliges Äußeres überrascht gewesen sein. Tatsächlich verfügt das neuartige Fahrzeug aber über absolute Alleinstellungsmerkmale, die von anderen Herstellern kopiert werden: Frontantrieb und tiefer Schwerpunkt, dadurch optimale Ausnutzung des von vorne, hinten und seitwärts zugänglichen Laderaums. Dank des aus dem Traction Avant übernommenen Antriebs nebst Vorderachse hat der Fahrer eines H bereits im unbeladenen Zustand das beeindruckende Gefühl, nicht in einem Lkw, sondern eher in einem bequem gefederten Go Cart unterwegs zu sein. Verstärkt wird der Eindruck durch den ständig präsenten Motor (als Benziner oder Diesel), der unter einer großen Klappe inmitten der Kabine werkelt und so für Wartungsarbeiten extrem gut zugänglich ist. Die gesamte Antriebseinheit kann auch sehr einfach nach vorne aus der Karosse gezogen werden, alles wird von vier massiven Schrauben gehalten.
Als praktisch, stabil und modular erweist sich der aus dem Flugzeugbau übernommene Wellblechaufbau des H. Es gibt ihn in verschiedenen Längen und Höhen und man hat unzählige Möglichkeiten zur Variation des Aufbaus, selbst nackte Fahrgestelle kann man bestellen, um sie individuell bestücken zu lassen. Der größte Teil der H-Produktion wird aber als Kastenwagen in grauer Lackierung (zwischenzeitlich gibt es ihn in 14 Farbtönen, darunter auch Behördenlackierungen wie Postgelb) mit 4,263 Meter Länge und einem zulässigen Gesamtgewicht von 2,7 Tonnen (TUB 1940: 2,35 Tonnen) ausgeliefert, was einer Nutzlast von stattlichen 1,2 Tonnen entspricht. Im Herbst 1949 kommt noch eine etwas abgelastete Version mit 850 Kilo Nutzlast (Type HZ), später folgt noch der mit 1.500 bzw. 1.600 Kilogramm Nutzlast ausgestattete HY.
Der Citroën HY ist die einzige für kurze Zeit offiziell in der Bundesrepublik angebotene Version des H. Wohl deshalb ist der Wellblechtransporter in Deutschland praktisch nur als “HY” oder “Hü” bekannt.
Schon die Standardausführung der Karosse überzeugt durch Zuladung, hintere und seitliche Türen sowie den nur 35 Zentimeter vom Boden entfernten (!), ebenen Ladeboden. Die Werksfeuer im Werk Javel fährt ab 1950 im unveränderten H mit einer schweren Guinard-Pumpe im Laderaum zu Einsätzen, auch bei Michelin in Clermont-Ferrand macht man es so. Als Ambulanz ist der H später sogar mit der Citroën-typischen Hydropneumatik bestellbar. Es gibt ihn als Viehtransporter und rollende Poststation, als Verkaufswagen sieht man ihn oft auf den Märkten des Landes. Die oberen Seitenteile des Standardaufbaus sind leicht demontierbar und eine ganze Reihe spezieller Aufbauten, manche direkt von Citroën, andere von spezialisierten Karosseriebauern komplettieren die Einsatzmöglichkeiten. Zwar bringt die (französische) Konkurrenz im Laufe der Jahre ähnliche Fahrzeuge, doch so multifunktional wie der H ist kein anderer: Peugeot setzt zu lange auf den von Chenard & Walcker übernommenen D3 und bringt erst 1965 mit dem J7 ein vergleichbares Fahrzeug, und auch Renault braucht bis 1959 um die Estafette zur Marktreife zu entwickeln. In Frankreich und den Benelux-Staaten (in Amsterdam und Forest befinden sich zeitweise H-Montagewerke) bleibt der Citroën H aber trotz neuer Konkurrenten lange Zeit unangefochten.
Heutzutage als rollender Werbeträger und Food-Truck beliebt: Dieser mit geteilten Fenstern, großen Doppelwinkeln und hinteren Kotflügeln als frühes Exemplar bis 1963 identifizierbare H wirbt in Hamburg für einen Klavierbauer.
Jahrzehntelang bleibt er für Citroën ein Verkaufserfolg, an dem die Zeit praktisch spurlos vorbei geht. Selbst als 1974 in Gestalt des gemeinsam mit FIAT entwickelten C25 ein erster Nachfolger erscheint, läuft die H-Produktion weiter. Und auch als sich das Ende des Citroën-Stammwerkes Quai de Javel abzeichnet, bedeutet das keineswegs das Ende des H, denn ab 1975 produziert man ihn noch in Aulnay-sous-bois. Dort können noch etliche Fertigungsabläufe automatisiert werden, die bislang nur in Handarbeit ausgeführt werden konnten. Erst der in Zusammenarbeit mit FIAT und Peugeot entwickelte Citroën C25 läßt den Type H zum Auslaufmodell werden. Die Produktion endet nach unglaublichen 33 Produktionsjahren unter großer Anteilnahme der Beschäftigten am 14. Dezember 1981 in Aulnay-sous-bois. Exakt 473.289 Stück sind hergestellt worden.
Lesetipp: Citroën Type H von Nicolas Bonnefoix, erschienen bei L’Autodrome.
Zum Preis von 29,90 EUR bei buchundmotor.de
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