Citroën Mèhari 4×4: Der Bergsteiger
Erinnern Sie sich an die Zeit, als man den Citroën-Fahrzeugen ihre Herkunft schon von weitem ansehen konnte? Und können Sie sich auch daran erinnern, wie sich diese Autos fuhren? Mussten Sie damals etwa vor Feldwegen kapitulieren? Hatte alles was noch bis weit in die achziger Jahre hinein gebaut wurde, nicht auch gleichzeitig ein gehöriges Maß an Geländetauglichkeit eingebaut? Denken Sie nur an die Hydraulik der großen Modelle vom Schlage einer DS, oder an die Entenfamilie, die dank unkonventioneller Federungskonzeption schon im Normalzustand das Prädikat geländetauglich verdiente.
Und trotzdem experimentierte Citroën immer wieder mit Allradantrieben für besondere Verwendungszwecke. Der 2CV-Sahara – ab Ende der fünfziger Jahre keine siebenhundert Mal im Pariser Panhard-Werk produziert – sollte beispielsweise auf Erdölfeldern im französischen Algerien zum Einsatz kommen. Der im Kofferraum des Fahrzeuges eingebaute wahlweise zuschaltbare Motor dürfte aus dieser Entenabart wohl eine der ungewöhnlichsten Autokreationen überhaupt gemacht haben. Die Geländetauglichkeit der Sahara-Ente war jedenfalls über jeden Zweifel erhaben und auch nach der algerischen Unabhängigkeit im Jahre 1962 lief die Produktion noch einige Zeit weiter …
Dass ausgerechnet auf Basis des Freizeit-Vehikel Mèhari nochmals ein Vorstoß in Richtung 4×4 unternommen werden würde, ahnte im Jahr der Vorstellung 1968 wohl niemand. Und den Ausschlag für eine neuerliche Geländewagenentwicklung gab wohl Ende der siebziger Jahre auch nicht die ohnehin für technische Extravaganzen empfängliche Citroën-Kundschaft, sondern das französische Militär, dass zur damaligen Zeit die Anschaffung eines neuen Geländewagens plante.
Ganz zivil in leuchtendem Gelb jagte man einen ersten Serienwagen vor versammelter Journalistenschar über einen Truppenübungsplatz im Süden Frankreichs. Dabei konnte der Mèhari dank Ententechnik und geringem Gewicht Steigungen von bis zu 70% bewältigen. Ein bleibender Eindruck, nicht nur bei den Reportern der Citroën Hauszeitschrift Double Chevron, die “diesem Eichhörnchen, dieser Gemmse, diesem … Mèhari” fast noch das Klettern auf Bäume andichten wollten.
Autobergsteigen
Jedenfalls – so Double Chevron im Frühjahr 1979 – habe man mit dem Mèhari 4×4 den “Beweis für die Neuerungsfähigkeit des Unternehmens erbracht”. Im Vergleich zum Serien-Mèhari verfügte der 4×4 über Scheibenbremsen an allen Rädern, einen abgewandelten Fahrzeugrahmen mit Kardantunnel und veränderten Endspitzen zur Aufnahme der neuen Hinterachse und einem durchgehenden Unterbodenschutz “ohne Vorsprünge die gegen Steine oder Erdklumpen stoßen könnten”. Das hintere Differential hatte eine gerade im Gelände unverzichtbare Differentialsperre, die vom Wageninnern aus bedient werden konnte. Als einziges Entenderivat verfügte der Mèhari 4×4 dank dreier Zwischengänge über ein Siebenganggetriebe. Ansonsten fand sich bekanntes unter der Motorhaube: 2 Zylindermotor mit 602ccm Hubraum, 29 DIN PS. Damit war eine Höchstgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern möglich.
Humanitäre Hilfe: Medecins de brousse, 1980.
1980 war Afrika offizielles Testgelände für den Mèhari 4×4. So stellte Citroën zur medizinischen Versorgung der 209 Teilnehmern der berühmt-berüchtigten Rallye Paris-Dakar zehn Exemplare des Fahrzeuges zur Seite. Ausgestattet mit Bahren, Sauerstofflaschen, Geräten für Bluttransfusionen und Funkgeräten konnten im Verlauf der Rallye immerhin 10 Gehirnerschütterungen, 13 geschlossene und offene Brüche und zahllose kleinere Verletzungen behandelt werden. Im Gegensatz zu vielen regulären Teilnehmern erreichten die “Krankenwagen” ohne Probleme am 23. Januar 1980 das westafrikanische Dakar. Zehn Monate später war Senegal zum zweiten Mal Ziel zweier Mèharis: Im Rahmen einer Fernsehreportage des Senders Antenne 2 begleitete man französische Tropenmediziner über vier Wochen durch den senegalesischen Busch. Die beiden Mèharis legten dabei sowohl die Hin- und Rückfahrt auf eigener Achse zurück.
Nach nur drei Jahren Bauzeit wurde die Produktion des Mèhari 4×4 im Juli 1982 eingestellt. Allerdings hat er damit seinen Urahn 2CV-Sahara immerhin nach Stückzahlen deutlich überholt: 1.213 Exemplare konnten verkauft werden. Noch ein paar mehr kamen dann sogar noch ab Mitte der Neunziger hinzu, als ein in Südfrankreich ansässiges Unternehmen aus vorhandenen und nachproduzierten Neuteilen den Mèhari 4 x 4 wieder zu produzieren begann. Noch heute ist es theoretisch möglich, sich ein solches Fahrzeug maßschneidern lassen.
Von Jan Eggermann, 2003
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