Stellantis: Carlos Tavares hat hingeschmissen

Stellantis-Generaldirektor Carlos Tavares hat hingeschmissen
 
Eigentlich sollte Carlos Tavares Anfang 2026 in den Ruhestand gehen. Doch bei einer Stellantis-Aufsichtsratssitzung am 1. Dezember ging es so hoch her, dass er vorzeitig und fristlos kündigte. Mit ihm ist der international denkende Steuermann des Konzerns von Bord gegangen.
 
Text: Jan Eggermann, Bilder: Citroën, Archiv Garage 2CV
 
„Undank ist der Welten Lohn“ denkt man angesichts des vorzeitigen Rücktritts von Carlos Tavares am 1. Dezember 2024. Augenblicklich wird ihm bei Stellantis kaum jemand eine Träne hinterher weinen – außer vielleicht Mehrheitsaktionär John Elkann. Das könnte sich jedoch schnell ändern. Denn mit Tavares ist ein international denkender Steuermann von Bord gegangen, der unbequeme Wahrheiten sah und verkündete. Dass er im operativen Geschäft stets auch entsprechende Konsequenzen zog, brachte ihm nicht nur Freunde ein. Trotzdem: Aus PSA und FCA machte er einen Weltkonzern. Und er investierte zuletzt Gewinne auch in den aufstrebenden, volkschinesischen Hersteller Leapmotors. Stellantis dürfte das mittel- bis langfristig deutliche Vorteile bringen – sollte es beim in Europa supra-staatlich verordneten Verbrenner-Aus 2025 bleiben. Stellantis ist so ungleich besser aufgestellt als es andere sind. Das ist der größte persönliche Verdienst des Carlos Tavares. Noch im Oktober hieß es, sein Vertrag werde regulär bis 2026 laufen. Denn nach Rücksprache mit Frau und Kindern habe er sich für den Ruhestand mit 67 entschieden. Doch am 1. Dezember wurde die öffentlich geäußerte Zukunftsplanung des Carlos Tavares zur Makulatur, denn nach einer Stellantis-Aufsichtsratssitzung wurde sein fristloser Rücktritt gemeldet.
 

Noch mit guter Laune: Carlos Tavares Wochen vor seinem Rücktritt mit Citroën-Generaldirektor Thierry Koskas in Paris. Er hatte frühzeitig die Entwicklung des Automarktes erkannt und PSA Peugeot Citroën und Stellantis wettbewerbsfähig gemacht. Beim Aufsichtsrat im Dezember gab es trotzdem Ärger, „der verdiente Carlos“ kündigte fristlos.

Noch mit guter Laune: Carlos Tavares Wochen vor seinem Rücktritt mit Citroën-Generaldirektor Thierry Koskas in Paris. Er hatte frühzeitig die Entwicklung des Automarktes erkannt und PSA Peugeot Citroën und Stellantis wettbewerbsfähig gemacht. Beim Aufsichtsrat im Dezember gab es trotzdem Ärger, „der verdiente Carlos“ kündigte fristlos.

Es wird wohl hoch her gegangen sein im Stellantis-Aufsichtsrat, zumal der Konzern die zum Vorjahr verschlechterte Finanzprognose bestätigte, die sich bereits seit Bekanntgabe des ersten Halbjahreserebnisses 2024 angedeutet hatte. Nordamerika hatte im 1. Halbjahr 2024 einen Umsatzrückgang von 14 % auf 85 Milliarden € gemeldet. Ein Brandbrief dortiger Händler und eine beim New Yorker Bundesgericht eingereichte Klage verhagelten genauso die Stimmung, wie Rückrufe und Lieferschwierigkeiten, Takata- und Puretech-Skandale in Europa, und das Fiat 500-Verbrenner-Aus in Italien.
 
Stellantis-Präsident und Mehrheitseigner John Elkann hat jetzt jedenfalls interimsmäßig das Ruder bei Stellantis übernommen, bis ein geeigneter Nachfolger für den „verdienten Carlos“ gefunden ist. Das soll bis Ende des ersten Halbjahres 2025 geschehen. Vier Jahre nach der Gründung von Stellantis zeigt sich, dass es in einem in Gründung befindlichen, internationalen Großunternehmen nicht leicht ist, Mentalitäten auf einen Nenner zu bringen. Dass Tavares jetzt das Schiff verlässt, ist dabei keineswegs kein gutes Zeichen, auch wenn sein mitunter rabiater Kurs nicht jedem gefallen hat. Er persönlich hat jedenfalls schon längere Zeit von seinen Enkeln und dem Ruhestand gesprochen. Und seinem in der portugiesischen Heimat gelegenen Weinberg dürfte sein Mehr an Zeit zugute kommen. Dass Kapitän Tavares das Schiff verlässt, ist für Stellantis jedenfalls kein gutes Zeichen. Am Folgetag gab die Stellantis-Aktie um mehr als 7% nach und war nur noch 11,61 € wert. Der Konzern steuert ohne erprobten Kapitän in ungewisse Zeiten.
 
 
Carlos Tavares hat hingeschmissen
 
Über die angeblichen Beweggründe von Carlos Tavares, Stellantis zu verlassen, war schon viel zu lesen. Es habe mit schrumpfenden Gewinnen zu tun, der Krise im US-amerikanischen Geschäft und damit, dass es sich der zuweilen eiskalt agierende Manager mit vielen verscherzt hat. Als Tavares 2013 von Renault-Chef Ghosn wegen eines Interviews von heute auf morgen gefeuert wird, erweist sich das für PSA Peugeot Citroën als Glücksfall. Denn der Konzern steht kurz vor dem Ende. Das Überleben sichert staatliche Hilfe in Höhe von 1,5 Milliarden, ebenso viel Geld aus Volkschina und… Carlos Tavares. Dass China damals schon der Wachstums- und Innovationsmarkt ist, hat die Peugeot-Familie einfach verschlafen und zahlt das mit dem Verlust ihrer Machtposition. Als PSA-Geschäftsführer startet Tavares mit „Back to the race“ einen Sparkurs, der es in sich hat. Auf dem „Weg zurück ins Rennen“ wird manch‘ alter Zopf abgeschnitten, manche Tradition geht über Bord geworfen. Er beruft mit Linda Jackson erstmals eine Citroën-Direktorin, Importgesellschaften läßt er ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten eindampfen, Liegenschaften vermarkten, vieles wird „outgesourced“. Immer geht es um Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit, schwere Zeiten für Nostalgiker. Doch es zahlt sich aus: PSA wird wieder rentabel, übernimmt 2017 Opel/Vauxhall. Tavares weiß, dass PSA zu klein für die Zukunft ist und schafft mit „Push-to-pass“ das Undenkbare: Die Fusion mit dem italienisch-amerikanischen Fiat/Chrysler-Konzern zum international agierenden Stellantis-Konzern. Weil die Gewinne stimmen und der Motorsportfan seit Kindheitstagen die nächsten Schikanen zwischen EU-Vorgaben und Konkurrenz aus Fernost stets im Blick hat, wird kräftig in neue Plattformen und Produkte, neue Energien, neue Software und neue Märkte, gar in chinesische Hersteller investiert. Stellantis mag an Börsen unterbewertet sein. Doch man ist viel besser aufgestellt, als andere. Tavares kann betriebswirtschaftlich eine positive Bilanz ziehen. Sein Nachfolger braucht allerdings, was man Tavares wohl nicht nachsagen wird: Einen wertschätzenden Umgang mit allen Mitarbeitern. Denn sie sollten mehr sein, als betriebswirtschaftliche Kennziffern.
 
Ein Kommentar von Jan Eggermann
 
Mehr zu den Hintergründen des Rücktritts von Carlos Tavares lesen Sie in Ausgabe 1/2025 der André Citroën Zeitung.
 
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