Das wunderbare Museum des Monsieur Henri
Wer sich für französische Automobile der Nachkriegszeit interessiert und eine Vorliebe für Citroën hat, sollte unbedingt das Museum von Henri Fradet besuchen. Denn in Castellane präsentiert er eine außergewöhnliche Sammlung von mehr als 110 Fahrzeugen. Garage 2CV hat sich für Sie umgesehen.
Text: Jan Eggermann, Bilder: Markus Bender / Daniel Denis / Henri Fradet / Garage 2CV
Ist man von Norden her in der atemberaubend schönen Landschaft der südfranzösischen Seealpen unterwegs, kommt man an Castellane im Naturpark Haute-Provence nicht vorbei. Die alte Nationalstraße 85 (heute D 4085) von Grenoble bis Valauris bei Cannes verläuft durch den Castellane und viele Reisende legen einen kurzen Zwischenstopp ein. Doch es lohnt sich auch einige Tage zu bleiben, denn die Geschichte des Ortes an der Route Napoléon beginnt bereits in römischer Zeit und hat seitdem eine Menge von Spuren hinterlassen. Unübersehbares Wahrzeichen des 1.500-Einwohner-Städtchens mit seinen typisch mittelalterlichen provenzalischen Gebäuden ist die fast 200 Meter über dem Ort thronende Kapelle Notre Dame de Roc, die auf dem gleichnamigen Karstfelsen steht. In Castellane nimmt auch der zwanzig Kilometer lange und bis zu 700 Meter tiefe Grand Canyon du Verdon seinen Anfang, dessen Größe nur noch durch den gleichnamigen Canyon in Nordamerika übertroffen wird.
Kaum hat man auf dem Weg nach Castellane* also die letzten Serpentinen der alten Nationalstraße hinter sich gelassen und sieht in der Ferne erstmals den Felsen mit seiner Kapelle, tauchen an der Abzweigung nach La Palud** schon zwei kleine Hinweisschilder auf. In den alten blaugelben Firmenfarben Citroëns weisen sie den Weg zum Musée des Citroën. Biegt man in die drittklassige Straße, ist schon nach wenigen Metern linkerhand ein typisches Landhaus zu sehen, an das sich etwas aufdringlich eine ganze Ansammlung von modernen Industriehallen anschließt. Solch wenig ambitionierte Zweckbauten sieht man oft in Frankreich. Anders ist hier aber zweierlei: Das beeindruckende Gebirgspanorama im Hintergrund und die Tatsache, dass sich in den neugebauten Gebäuden das einzige öffentlich zugängliche, private Citroënmuseum befindet. Dessen Gründer Henri Fradet begann vor mehr als vierzig Jahren alte Citroëns zu sammeln. Wobei “alt” relativ ist. Denn als Fradet mit seiner Sammlung startete, waren viele der heute ausgestellten Automobile noch sehr oft im französischen Straßenverkehr zu sehen. Fradet konnte im allgemein sonnendurchfluteten und wenig rostfördernden Südfrankreich aus dem Vollen schöpfen. Es hatte noch keine Abwrackprämien gegeben und auch die Vertriebsstrategien der (internationalen) Automobilindustrie waren bei weitem nicht so ausgeprägt wie heute. Und so legte er bei der Wahl seiner Citroëns eine nur im Rückblick hohe Messlatte an: In seiner Sammlung sollten sich nur Fahrzeuge im Originalzustand und mit geringer Kilometerleistung finden.
Im Laufe der Jahre kam so eine beeindruckende Zahl von originalen Exponaten zusammen. Viele aus der Region, manche auch von weit her: Eine Sahara-Ente holte er aus Norwegen, eine der letzten 2CV aus spanischer Produktion nach einer Zwischenstation in der Nähe von Barcelona aus Andalusien. Lediglich drei der Fahrzeuge unter den aktuellen einhundertzehn Autos der Sammlung sind überhaupt restauriert worden (unter anderem ein originales Chapron DS-Werkscabriolet), wofür das Museum über eine perfekt ausgestattete Werkstatt verfügt, in der alle entsprechenden Unterlagen und Werkzeuge des Herstellers vorgehalten werden. Alle anderen Citroëns sind zwar zeitlich, nicht aber kilometermäßig weit von ihren Herstellerwerken entfernt. Übertragen auf die heutige Zeit würde man alle gezeigten Autos als gut erhaltenene Jahreswagen bezeichnen. Brachiale Neulackierungen wie sie in den Neunzigern unverständlicherweise etwa am einzig fahrfähigen 2CVA von 1939 durchgeführt wurden, sucht man hier glücklicherweise vergebens. Die allermeisten Fahrzeuge befinden sich im originalen Werkszustand.
Schwerpunkt der Sammlung ist die Nachkriegsproduktion und somit finden sich alle Doppelwinkel-Klassiker wie Traction, 2CV, DS, Ami oder GS. Eines der seltensten Fahrzeuge in Castellane dürfte die schwarze Citroën DS von 1955 sein. Sie trägt die Fahrgestellnummer 32 und ist damals in Ermangelung des noch nicht einsatzfähigen Fließbandes am Quai de Javel in Handarbeit entstanden. Im Conservatoire Citroën steht zwar Nummer 31, doch das werkseigene Fahrzeug wurde nie verkauft. Ansonsten ist weltweit bislang keine einzige DS mit niedrigerer Fertigungsnummer bekannt. Ähnlich einzigartig ein 2CV von 1954 mit unglaublichen 7.285 Kilometern auf dem Tacho, der 1995 zufällig von einem Freund Fradets bei einem Spaziergang in Drancy entdeckt worden war. Als unlängst das Conservatoire Citroën einige Fahrzeuge verkaufte, konnte Henri Fradet den allerersten VISA übernehmen. Für Citroën handelte es sich um einen nicht zulassungsfähige Studie ohne Fahrgestellnummer. Doch Fradet ging der Sache auf den Grund und entdeckte unter dem Beifahrersitz tatsächlich eine Fahrgestellnummer. Citroën zeigte sich als guter Verlierer und förderte aus dem Archiv sogar noch die passende Carte Grise zu Tage. Für hartgesottene Fans: Der rote VISA ist das Fotofahrzeug der ersten Prospekte von 1978 ! Und so gibt es zu jedem der einhundertzehn Autos der Sammlung eine individuelle Geschichte, so auch zu dem dank seinem Blaulicht unübersehbaren Feuerwehr-Méhari. Er war in der Auvergne-Gemeinde Effiat bei der Brandbekämpfung im Einsatz und seit 1972 gerade einmal 4.376 Kilometer gefahren …
Das seit 2005 öffentlich zugängliche CitroMuseum – Slogan “La passion de l’authenticité” (also die “Leidenschaft für das Authentische”, Anm.d.Red.) – hat sich zwischenzeitlich zu einem Anziehungspunkt für Citroën-Liebhaber aus der ganzen Welt entwickelt. Besucher*Innen der Ausstellung können sich anhand von Schautafeln über die Geschichte jedes einzelnen Automobils informieren. Seit der Saison 2019 gibt es zu allen Exponaten auch deutschsprachige Tafeln, deren Übersetzung wie auch die neue Beschilderung von Markus Bender übernommen worden war. Die Präsentation der Autos wird von etlichen Devotionalien begleitet. So finden sich Sammlungen mit nie verwendeten Studien für Modellschriftzüge, es gibt Exponate von Campagnen (besonders gefiel uns ein Surfbrett mit Segel, das die 2CV-Transat-Sonderserie 1984 begleitete) oder auch etliche Werkstatt- und Hinweisschilder. Neueste Errungenschaft ist eine bis ins letzte Detail nachgebaute Tankstelle der einst in Frankreich allgegenwärtigen Marke ANTAR. In dessen Kassenhäuschen finden sich unzählige Accessoires von Citroën und ANTAR. “Die Präsentation im Museum selber ist mit vielen Werbedetails wunderschön” schwärmt ein Besucher und habe auch nicht “den Parkplatz-Charme eines Conservatoire in Aulnay.” In der Tat: Man merkt dem Museum an, dass es voller Liebe zum Sujet geführt wird. Monsieur Henri hat ein charmantes Museum erschaffen. Wunderbar !
Geöffnet ist das CitroMuseum in der Zeit vom 14. April bis zum 12. Oktober täglich von 14 bis 18 Uhr. In der Hochsaison im Juli und August öffnet es bereits um 10 Uhr. Der Eintritt kostet 8 EURO für Erwachsene, 4 EURO für Kinder. Weitere Informationen zum CitroMuseum (mit dem Auto des Monats) unter www.citromuseum.com.
Tipp: Eine gute Reisezeit sind die Monate Mai und Juni. Unterbringungsmöglichkeiten in Castellane finden sich bei www.mairie-castellane.fr. Campingfans finden im Ort einen Camping municipale oder direkt gegenüber des CitroMuseums einen kommerziellen Campingplatz.
Wer nach dem Besuch des CitroMuseum noch ein paar Tage in der Gegend ist, sollte auch ins nahe Draguignan fahren. In dessen Umgebung testeten André Lefebvre und seine Leute Anfang der Fünfziger die Prototypen der DS. Durch einen Überfall auf einen der DS-Testwagen begann hier die Affäre um das L’Auto Journal. Man bekommt einen guten Eindruck von den damaligen Bedingungen und auch Lefebrvres Landhaus gibt es noch. Mehr dazu im Buch André Lefebvre: Avantgarde bei Voisin und Citroën.
* Castellane ist auch mit Schnellbussen gut erreichbar: Linie LER 27 Marseille – Castellane oder LER 31 Nice – Castellane – Grenoble
** D 602 in Richtung La Palud
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