Rue du Théâtre – Wiege der Citroën DS


 
Im Oktober 2025 feiert mit der Göttin Citroëns legendäre DS ihren Siebzigsten. Garage 2CV entführt Sie zu dem Ort, wo einst alles begann: Die Rue du Théâtre im fünfzehnten Stadtbezirk von Paris.
 
Text: Jan Eggermann, Bilder: Citroën, Archiv Garage 2CV
 
Die Wiege der Citroën DS in der Rue du Théâtre in Paris - Jetzt bei garage2cv.comIm Pariser „Fünfzehnten“ schlug das industrielle Herz der Unternehmen des André Citroën. Die „Usines Citroën“ am „Quai de Javel“ (seit 1958 Quai André Citroën) bauten Automobile, „Engrenages Citroën“ fertigten am Quai de Grenelle winkelverzahnte Zahnräder, und in der unweit gelegenen „Rue du Théâtre 48“ stand das seit 1908 von Citroën geführte Werk der „Mors Automobiles“. Als deren Produktion 1924 endete, zog Citroëns Versuchsbüro in die Werkshallen. Und blieb ein halbes Jahrhundert.
 
In den Häuserschluchten des bürgerlich gewordenen an der Seine gelegenen fünfzehnten Arrondissements im Südwesten von Paris mag man sich nicht recht vorstellen, dass die Citroën DS genau hier ihre Form erhielt, hier entwickelt wurde. Mehr noch: Vor weit mehr als einhundert Jahren stand genau hier eine Wiege der französischen Industrie. Generationen von Arbeitern schufteten hier in dunklen Fabrikhallen, um sich ihren kargen Lebensunterhalt zu verdienen. Man erahnt es noch dadurch, dass es im Fünfzehnten so gut wie keine besonderen Sehenswürdigkeiten gibt und vom steten Besucherstrom nach Paris wenig zu spüren ist. Ein paar Touristen suchen auf den Pont Mirabeau oder Grenelle das beste Erinnerungsfoto mit dem Eiffelturm, um danach im Einkaufstempel der Rue Linois zu „shoppen“.
 
Zur Rue du Théâtre gelangt man über den Quai de Grenelle, wo das Zahnradwerk der „Engrenages Citroën“ stand. Die Strasse, die früher tatsächlich direkt bis vor ein Theater im Herz des Fünfzehnten führte, übersieht man schnell. Denn seit 1972 überformt ihren Ausgang ein brutalistischer Hochhausklotz. Nachdem die unter Beton verschwundene Rué du Théâtre wieder am Tageslicht ist, wird die Straße zur Einbahnstraße. Kreuzt man jetzt noch die Rue Charles* sind es nur noch ein paar Schritte bis zur Nummer 48, die uns ganz besonders interessiert.
 
Das alte Mors-Werk in der Pariser Rue du Théâtre 48 - Jetzt bei garage2cv.comGenau hier arbeiteten André Lefebvre und Flaminio Bertoni im Bureau des Études Automobile (kurz BEA), Citroëns Entwicklungsabteilung. Doch die Automobilgeschichte beginnt im Stadtteil Beaugrenelle schon vor einhundertdreißig Jahren, als 1895 die aus Brüssel stammenden Brüder Émile und Louis Mors hier ihre Kraftfahrzeugproduktion starten. Elektroingenieur Émile ist der Techniker bei „Mors“ und nimmt um die Jahrhundertwende mit seinen Automobilen an vielen Rennen teil. Der ebenfalls zum Ingenieur ausgebildete Louis ist von allem neuen Techniken begeistert, allerdings eher theoretisch. Er gibt ein Magazin zur Elektrizität heraus und übernimmt mit Émile auch das ebenfalls in Paris ansässige Unternehmen Prud‘homme. Damit steigen die Mors neben dem Automobilbau auch in die Herstellung von elektromechanischen Apparaten, Telefonen und Signaleinrichtungen für Eisenbahnen ein. Louis hat auch als Kunstkritiker einen Namen, sorgt für die Einrichtung eines Lehrstuhls für Musik am Collège de France und besitzt das noch heute aktive Théatre Ranelagh (damals Théâtre privé) auf der anderen Seine-Seite. Drinnen läßt er in Lateinisch „Mihi amicisque meis“ anschreiben, „Meinen Freunden und mir“. Einer von denen ist übrigens kein Unbekannter: Claude Debussy führt hier im Theater seine Musik auf. Der Schriftzug ist noch heute über dem Eingang zum Theatersaal zu sehen… Erwähnenswert auch, dass Louis dem Vorstand des Automobile Club de France genauso angehört, wie der Ehrenlegion. Er stirbt 1917. Zeitweise konkurrieren die Mors Automobile mit den prestigeträchtigen Panhards, die am anderen Ende der Stadt hergestellt werden.
 
Das alte Mors-Werk in der Pariser Rue du Théâtre 48 - Jetzt bei garage2cv.comDoch in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhundertjahrzehnts läuft es nicht mehr gut mit dem Automobilbau bei Mors. Im Dezember 1907 steht das Unternehmen kurz vor seiner Liquidation. Doch das wollen die Brüder Mors nicht einfach tatenlos hinnehmen und holen sich eine jungen Ingenieur als Geschäftsführer in die Rue du Théâtre: André Citroën! Er wird am 24. Februar 1908 Generaldirektor und Geschäftsführer bei Mors Automobiles. Citroën ist zwar an der renommierten École polytechnique zum Ingenieur ausgebildet, doch als Techniker zu arbeiten liegt ihm eigentlich weniger. Stattdessen ist er ein genialer Organisator und Entdecker von Talenten, begeistert für die „Herstellung und den Vertrieb in großem Maßstab“. Er analysiert die konkreten Kundenbedürfnisse und baut das Mors-Management um, sorgt für neue Modelle. In kurzer Zeit schafft er es, die Mors-Produktion zu verdoppeln. Und er erwirbt wertvolles Praxiswissen aus der aufstrebenden Industrieproduktion. So lernt er bei Mors ein funktionierendes Ersatzteilwesen kennen (Mors gibt schon eigene Ersatzteilkataloge für Werkstätten heraus), und sieht auch die Notwendigkeit der Corporated Identitiy. Das Mors-Logo in Preußischblau findet sich auf Papieren des Unternehmens und selbstverständlich auch an den Kühlergrills der Automobile. Citroën übernimmt Stil und Farbe ab 1919 für seine „eigenen“ Kraftfahrzeuge. Im ersten Weltkrieg läuft Citroëns organisatorisches wie industrielles Talent zur Hochform auf. Mithilfe des französischen Staates baut er am wenige hundert Meter entfernten Quai de Javel eine gigantische Munitionsfabrik. Als die Waffen schweigen, ist Citroën zum solventen Großindustriellen geworden, und verfügt über das Werkzeug zur Automobilproduktion im großen Stil. 1919 kauft Citroën von Émile Mors schließlich die Autosparte des Konzerns. 1922 kommt der Mors 30 HP, 1923 folgt der repräsentative 12/16 HP Sport. Doch der Erfolg Citroëns „eigener“ Fahrzeuge läßt für die Marke Mors keinen Raum mehr. Und weil am Quai de Javel auch schlicht der Platz fehlt, endet die Mors-Produktion und die gesamte Citroën-Entwicklungsabteilung verlegt in die jetzt freigewordenen Räumlichkeiten der Rue du Théâtre 48.
 
Formenbau im BEA zur Bertoni-Zeit - Jetzt bei garage2cv.comDirektor des Bureau d‘Études des Automobiles (kurz. B.E.A.) ist anfangs Ingenieur Maurice Brogly, der sich vor allem mit administrativen Fragen beschäftigt. Ihm zur Seite steht Monsieur Saint Maurice als technischer Assistent. Doch die beiden berühmtesten Mitarbeiter des B.E.A. kommen erst noch: Am 8. Juli 1932 tritt Flaminio Bertoni eine Stelle als technischer Zeichner in der Karosserieentwicklung unter Raoul Cuinet an, und arbeitet sofort am Feinschliff der im Oktober erscheinenden Rosalie. Am 12. März 1933 kommt auch der direkt von Citroën als „Ingenieur“ für das Projekt eines Rosalie-Nachfolgers angestellte André Lefebvre in die Rue du Théâtre. Er hat völlig freie Hand und weil die Zeit drängt, stellt er sofort eine gut strukturierte Arbeitsgruppe zusammen, zu der auch Cuinets Karosseriemannschaft gehört. Wie kongenial sich danach Bertoni, der formende Künstler, und Lefebvre, der avantgardistische Ingenieur, ergänzen, zeigt die bereits nach 404 Tagen (!) fertig entwickelte Traction Avant. Mit der schon in den späten Dreißigern angedachten, aber erst nach Ende des Weltkrieges entwickelten Citroën DS schreiben die beiden endgültig Automobilgeschichte. Und mit Ihnen eine ganze Reihe von Ausnahmepersönlichkeiten, die ebenfalls dem B.E.A. – der Wiege der DS in der Rue du Théâtre angehören.
 
Gedenkplakette für Bertoni, Citroën und Lefebvre in der Rue du Théâtre in Paris - Jetzt bei garage2cv.comMit dem Wegzug Citroëns aus dem Pariser Stadtgebiet in den Achtzigerm schließt auch die Rue du Théâtre 48 ihre Tore. Heute steht auf dem Areal ein Wohnblock. Am 25. Februar 1974 wird dort noch ein Sprachlabor in Betrieb genommen, wo Mitarbeiter in Gruppen von jeweils zehn Personen Englisch lernen. Da ist B.E.A. längst nicht mehr da, denn das Bureau d‘Études ist 1967 als erstes in das neue technische Zentrum Citroën-Vélizy umgezogen, wo bis heute zumindest noch am Design neuer Citroën gearbeitet wird. Die Technik neuer Citroën Abteilungen wird hingegen längst anderswo ausgefeilt. Weit weg von Paris und der Théâtre, wo alles seinen Anfang genommen hatte…
 
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