Die letzte Ente – Ein Blick zurück auf den 27. Juli 1990
Vor dreißig Jahren läßt Citroën den letzten 2CV in Portugal herstellen, doch das bedeutet nicht das Ende der Ente. Ein abgeklärter Blick zurück auf einen denkwürdigen Tag.
Von Jan Eggermann, Bilder: Garage 2CV / Ton de Graaf / 2CV Club Mangualde
In Portugal läuft am 27. Juli 1990 die letzte Ente vom Band. Ein trauriges Ereignis für (Automobil-)Nostalgiker. Manche Zeitung bringt dazu im Sommer 90 eine Notiz, Beerdigung mit Ansage. Den letzten Akt des Trauerspiels nimmt man in Frankreich kaum noch zur Kenntnis, denn in Paris hat man schon zwei Jahre zuvor Schluß mit der Ente gemacht. Ausgerechnet am 29. Februar 1988 wird dort die letzte “französische” Ente produziert. Der gute alte 2CV schafft es sogar in die Hauptnachrichtensendung des französischen Fernsehens. Mit dem letzten 2CV aus Levallois sind in Frankreich 1988 auch irgendwie die “Trente glorieuses” endgültig vorbei, also die heute ein wenig stärker als damals mystifizierten Nachkriegsjahrzehnte, deren automobiles Symbol die Ente gewesen war. Denn kaum ein anderes Fahrzeug steht so sehr für die Automobilisierung der ländlichen französischen Räume wie der 2CV. Natürlich gab es einen Renault 4, in den Achtzigern den 205 oder später den Twingo. Doch “la deuche” war deren Original. Form follows function in Reinkultur, geschaffen von Ingenieuren und Bildhauern in einem Unternehmen, das die technische Kreativität zum Fundament des Modellprogramms gemacht hatte. Bei Citroën erschufen Ingenieure wie André Lefebvre oder Designer Flaminio Bertoni eine wegweisend neue Interpretation des Automobils. Und das zu einer Zeit, als gerade eben das ländlich geprägte Familienunternehmen Michelin aus Clermont-Ferrand das Ruder bei Citroën übernommen hatte. Der 2CV steht deshalb in der Firmengeschichte auch für eine stärkere Ausrichtung Citroëns auf den französischen Heimatmarkt, wie sie seit 1935 von Michelin forciert worden war. Kein Vergleich zu Gründer André Citroën, der bekanntlich immer größten Wert auf das internationale Engagement seines Automobilkonzerns gelegt hatte, Stichwort Citroën in Köln. Daran, dass ausgerechnet der im Rückblick konzeptionell am stärksten auf den französischen Binnenmarkt ausgerichtete Citroën zum Welterfolg mit millionenfacher Verbreitung würde, werden die Initiatoren des 2CV Pierre Michelin und Pierre Jules Boulanger kaum geahnt haben.
Nach vierzig Jahren ununterbrochener Bauzeit, die zwischenzeitlich wegen des reißenden Absatzes allein in drei Pariser Fabriken parallel läuft (hinzu kommen noch eine ganze Reihe von weltweiten Produktions- und Montagewerken), ist im Februar 1988 ein internationaler Protest gegen die Enteneinstellung vorprogrammiert. Entenfreunde haben einen 2CV in seine Bestandteile zerlegt, einzelne Bleche in die ganze Welt verschickt und als Manifest mit tausenden von Unterschriften von Befürwortern des 2CV wieder zusammengebaut und an die Citroën-Geschäftsführung in Neuilly-sur-Seine übergeben. Das hat zweierlei Konsequenzen: Erstens wird das Verlassen der letzten Ente am Werkstor von Levallois medienwirksam zelebriert. Zweitens ringt man sich dazu durch, doch noch eine kleine Montagelinie im portugiesischen Werk Mangualde offen zu halten. Denn man trenne sich natürlich nicht vom 2CV, sondern verlagere lediglich die Produktion aus dem nicht mehr zeitgemäßen städtischen Werksumfeld von Levallois nach Portugal. Man muss kein Pariser Immobilienmakler sein, um allein den Grundstückswert der Liegenschaften im Pariser Vorort Levallois als extrem hoch einzuschätzen: Nachdem die teilweise noch von Gustave Eiffel gebauten Werkshallen von Levallois komplett abgeräumt sind, entstehen dort auf dem frisch parzellierten ehemaligen Werksgelände hunderte von neuen Wohnungen. Ähnlich ging es seitdem praktisch allen Pariser Citroënwerken und Liegenschaften, gewiss wäre in manchen Jahren der Gewinn von PSA ohne den Verkauf der Pariser Immobilien deutlich geringer ausgefallen.*
Der 2CV, la deuche, der Döschwo oder auch el Citro: Das “Maximum des automobilen Minimums” – wie es der legendäre Citroën-Pressechef Jacques Wolgensinger einmal so treffend formulierte – passt mit seiner konzeptionellen Vorkriegsschlichtheit irgendwie nicht mehr zu 1990. Der Eiserne Vorhang fällt und jetzt ist vermeintlich grenzenloses Wachstum auch für (Peugeot-)Citroën unwiderstehliche Verheißung. Produktionskapazitäten an einen Oldtimer binden, der praktisch in Handarbeit und mit zugelieferten Teilen entsteht ? Obwohl Portugal 1990 noch als Niedriglohnland gilt, kann das nicht lange gut gehen, zumal auch Garantiearbeiten in Exportmärkten wie der Bundesrepublik die ohnehin geringen 2CV-Margen ins Gegenteil verkehren. Und so entscheidet PSA-Chef Jacques Calvet sicher nicht völlig emotionslos, aber doch sehr klar, das Ende des 2CV. Es kommt am 27. Juli 1990. Die neue Zeit heißt in Mangualde “AX”, zum Abschied spielt eine Werkskapelle.
30 Jahre nach dem endgültigen Produktionsende lebt das kleine Auto aus Paris nicht mehr als Anachronismus, sondern als vielgeliebter Oldtimer. Und irgendwie ist der 2CV ein sympathisches und ewig junges Bekenntnis gegen das ständige Wachstum vieler Autogenerationen seit 1990. Vive la deuche ! *
Vertiefendes Filmmaterial:
Der letzte 2CV
Wie entsteht ein 2CV – Citroën-Film aus den letzten Tagen der Produktion in Portugal
* Eine Ausnahme stellt das Citroënwerk St. Ouen dar, dass noch zu André Citroëns Zeiten mit dem Blechpressen für den Traction Avant ausgestattet wurde und bis heute täglich bis zu 600.000 Blechteile für die laufende PSA-Produktion herstellen kann. Voraussichtlich Mitte 2021 wird auch das Werk St. Ouen schließen, an seiner Stelle wird ein Großkrankenhaus errichtet.
** Am heutigen Tage gedenken 2CV-Freundinnen und Freunde dem dreißigsten Produktionsende des 2CV in Düsseldorf ab 19:30 Uhr mit einer Buchlesung aus den Entengeschichten von Anton Wolfpril.
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