Buchtipp: Citroën in Deutschland

Die Ente prägt nicht nur das Image von Citroën in Deutschland, sondern findet sich auch auf dem cover des jetzt erschienenen gleichnamigen Buches. Bild: Walter Wolf Verlag

1927 bis heute
Über neunzig bewegte Jahre in Deutschland

Als Anfang der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts im Deutschen Reich kleine und kleinste Manufakturen an Motorwagen experimentieren, mit diesen Methoden aber kaum grössere Stückzahlen erreichen, ist der Pariser André-Gustave Citroën schon Lichtjahre weiter. Auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern für seine nutzlos gewordenen Munitionsschmieden sieht er im Automobil seine unternehmerische Zukunft. Im Weltkrieg gesammelte Erfahrungen, verbunden mit neuesten Erkenntnissen nordamerikanischer Fertigungsmethoden, lassen seine Automobilwerke ab 1919 zu den modernsten in ganz Europa werden, die allerersten europäischen Fließbänder für Kraftwagen werden am Quai de Javel in Gang gesetzt. Zum wirtschaftlichen Erfolg trägt dabei von Anfang an auch die starke Exportorientierung des Unternehmens bei. Schon knapp vier Jahre nach Start der Produktion rollen bereits 23.000 Citroënwagen auf britischen Straßen. Um Transport- und Handelskosten zu reduzieren und sich stärker in den nationalen Märkten zu etablieren, enstehen schnell erste Montagewerke im Ausland, etwa in Brüssel oder Slough (1924).

Werbepostkarte einer Hamburger Citroën-Vertretung vom April 1938. Bild: Archiv garage2cv.de

Gemessen an der rasanten Entwicklung des Unternehmens seit 1919 erfolgt die Gründung einer deutschen Niederlassung spät, was auch daran liegt, dass noch bis Sommer 1925 eine Einfuhrsperre für ausländische Automobile gilt. Unmittelbar nach deren Aufhebung ist mit Ford bereits das erste amerikanische Großunternehmen in Deutschland aktiv.
Zum Zeitpunkt der ersten Citroën-Niederlassung in Deutschland (1927) ist es bereits viel zu spät, um noch ernsthaft Fuss fassen zu können: Die deutsche Automobilwirtschaft hat langsam ihren Rückstand aufgeholt, und vor allem Konkurrent Opel kopiert schon seit 1924 erfolgreich die amerikanisch-citroënschen Fertigungstechniken, doch damit nicht genug: Auch Citroëns erfolgreichstes Modell, der stets gelb lackierte P’tit Citron 5HP, ist zum Opel-Plagiat geworden. Ein früher Fall von industriellem Ideenklau, mit dem der Rüsselsheimer Hersteller aber zum grössten deutschen Automobilproduzenten jener Zeit aufsteigt. Für Citroën nimmt die Angelegenheit um den Laubfrosch (Dasselbe in grün) auch rechtlich einen negativen Gang. Deutsche Gerichte befassen sich zwar jahrelang mit dem Thema, doch am Ende darf Opel kopieren, und Citroën geht leer aus. Erst in den Dreißiger Jahren kommt eine kleine nationale Citroën-Produktion in Köln-Poll zaghaft in Gang, die nicht mehr als ein paar tausend Fahrzeuge herstellen wird, denn obwohl der neue Citroën zu hundertprozent deutsch ist, wie es in den Dreißigern in Anzeigen gedruckt wird, ist der damaligen deutschen Regierung das französische Unternehmen ein Dorn im Auge. Noch vor Ausbruch des Krieges endet die Fertigung nach vielen bürokratischen Repressionen und kommt auch danach nicht mehr in Gang. Weitaus nachgiebiger geht man noch bis zum letzten Tag des Krieges mit US-amerikanischen Unternehmen um, die zwar unter Zwangsverwaltung gestellt werden, aber bis zum Kriegsende für die deutsche Kriegswirtschaft produzieren.

Dass Citroën beim Neubeginn in den Fünfziger Jahren seinen in Frankreich schon als unschlagbaren Verkaufserfolg geltenden 2 CV anfangs nicht in Deutschland anbietet, dürfte auch mit dem erschwerten Start seit 1927 zusammenhängen, denn Image und Bekanntheit der Marke basieren damals nicht auf inländischen Markterfahrungen sondern vorwiegend auf Kriegserfahrungen ehemaliger Landser mit dem Traction Avant. Als 1955 die eine, wahre Citroëngöttin namens DS vom Himmel fällt und allen anderen Automobilherstellern auf Jahre Standards setzt, ist hierzulande an eine “normale” Imageentwicklung ohnehin nicht mehr zu denken. Und als ein anderthalb Jahrzehnte später die Ente in Deutschland erfolgreich wird, gilt die Firma Citroën hierzulande schon als eine Automarke voller Widersprüche, irgendwo zwischen rustikal-genialer Basismotorisierung à la 2 CV und französisch-avangardistischer Technologie namens DS, GS oder SM.

Bereits 1966 auffällig anders: Der Citroën 2CV und seine Konkurrenz auf dem deutschen Markt in einem Sonderdruck der Zeitschrift Film und Frau. Bild: Archiv garage2cv.de

In seinem jetzt erschienenen Buch Citroën in Deutschland 1927 bis heute widmet sich Hans-Christian Herrmann der Geschichte der Marke in Deutschland und wagt sich in wissenschaftlicher Form an ein Thema, das bis jetzt eher aus dem Blickwinkel von Fans der Marke beschrieben wurde. Dass sich die akribische Auseinandersetzung mit einem Thema durchaus lohnt, hat Herrmann – seines Zeichens promovierter Historiker – vor einigen Jahren bereits mit seinem Buch über die Geschichte des Importeurs Volvo gezeigt. Auch im vorliegenden Titel (160 Seiten) finden sich wieder viele aufschlussreiche Erkenntnisse, die sich im Allgemeinen erst bei genauem Studium von Quellen ergeben können. Herrmann fördert nicht nur viele historische Fakten rund um die Marke zu Tage, sondern schildert selbstverständlich auch anhand der verschiedenen zeitgenössischen Modelle wie etwa GS oder VISA die jeweilige Marktentwicklung von Citroën Deutschland. Neben naheliegenden Bezügen zu den anderen französischen Importmarken und eher speziellen Themen wie Citroën im Saarland oder die Zusammenarbeit des Herstellers mit der DDR, gibt es viele Informationen zu den Bertoni-Klassikern Traction Avant, DS und 2 CV, die ja unter den klassischen Citroën bis heute einen besonderen Ruf genießen und unzweifelhaft im Mittelpunkt des Interesses stehen. So findet Herrmann beispielsweise heraus, dass die erste bundesrepublikanische Bastion der Ente nicht in Köln, Göttingen oder Marburg lag, sondern im niedersächsischen Emsland!

Von Jan Eggermann, 2010.

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